Samstag, 26. September 2015

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Der Geiger


Das alte Fotoalbum lag noch in seinem Zimmer. Vorsichtig blättere ich durch die Seiten, tauche ein in Zeiten, an die ich keine  Erinnerung haben kann. Die meisten Fotos sind sepiabraun. Nicht nachträglich durch einen Effekt digitaler Bearbeitungsprogramme erzeugt, sondern tatsächlich aus einer Zeit, in der Fotos nun mal oft sepiabraun waren.

Wie alt er damals wohl war? Anfang bis Mitte 30 vielleicht? Nur wenige Jahre älter als ich es im Moment selbst bin. An einem Bild bleibt mein Blick hängen. Stolz posiert er in feinem Zwirn, im Arm eine Geige. Nie habe ich ihn zuvor so gesehen. Nie mit einem Instrument. 

Man erzählt mir, er spielte die Geige oft, mit viel Leidenschaft und nicht immer zur puren Freude seiner Mitmenschen. Manchmal frage ich mich, wie sein Geigenspiel wohl klang. Ich glaube, es muss sich sehr schön angehört haben. Sicher nicht wie bei Paganini. Er hatte sicher seine ganz eigene Art von Perfektion. Gerne hätte ich seine Melodien selbst gehört. Aber das ging nicht. Als wir uns trafen, gab es die Geige längst nicht mehr.

Musik brachte er dennoch stets in mein Leben. Sei es mit Poesie, Schönheit oder der schützenden Hand, die er die ganzen Jahre über mich und all die anderen gehalten hat. So brachte er unsere Lieder zum Klingen. Im Herzen werde ich daher immer seine letzten unvergesslichen Töne tragen, die er mit seiner Hand erschuf, als er meine Hand drückte. Einmal, zweimal, dreimal.

Happy Birthday, Opa.

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