Donnerstag, 23. April 2015

# 00005



Am Telefon kann ich besonders gut lügen. Es ist so viel leichter, dir Ammenmärchen aufzutischen, wenn ich dabei nicht in deine hoffnungsvollen Augen sehen muss. Du fragst, was ich gerade mache. Ich sage, ich mache nichts und schaue schuldbewusst auf den grell leuchtenden Bildschirm meines Computers.

Du rufst an, weil du wissen möchtest, wie es mit uns weitergeht. Immer meldest du dich im falschen Augenblick. Ich spreche nicht mir dir, weil ich nicht will, dass du mir zu wichtig wirst. Das möchte ich nicht, weil ich fürchte, keine egoistischen Entscheidungen mehr  treffen zu können. Vielleicht gäbe es ja so  irgendwann doch einen Grund zu bleiben. Ahnungslos, dass es für deine Überredungskunst schon viel zu spät ist, redest du munter weiter auf mich ein. Du denkst, es käme ein Tag, an dem ich bleiben werde. Dass ich an jenem Tag endlich finden würde, wonach ich so verzweifelt suche. Der Zeitpunkt, an dem ich mich festlegen würde, wäre gar nicht mehr so fern.

Doch so funktioniert mein Leben und mein Wesen nicht. Ich bin so gerne rastlos. Nicht nur in der Liebe. Mein Zuhause von gestern kann am nächsten Morgen längst verlassen sein. Und ich komme kaum dazu,  die Kisten mit meinen Sachen auszupacken. Höher, schneller, weiter. Du meinst, ich jage vergeblich meine Träumen hinterher. Ich sage dir nie, dass ich bei dir längst nicht angekommen sein kann. Getrieben von einer unstillbaren Neugier opfere ich dich, lasse dich zurück.  Da draußen muß es mehr geben, etwas Neues, etwas Spannendes. Etwas, das aufregender ist als du es bist. Du bist nur meine alte, leere Wohnung. Du bist ein längst ausgelesenes Buch. Du bist eine gelöste Aufgabe. Du bist der Sommerhit aus dem letzten Jahr. Du bist ein vergangener Moment, an den ich mich kaum noch erinnern kann. Du bist passé. Und du weißt nichts davon.

Meine Augen seien immer so voller Wolken. So voller Gedanken, dass du manchmal nicht weißt, ob ich dir gerade wirklich zuhöre oder in meinem Kopf von dannen schwebe. Ich könnte nicht das Gute genießen, das sich gerade vor mir so prachtvoll aufbaut. Du verstehst mich nicht. Du verstehst meine Ziele nicht. Meine Wolken sind keine Sorgen, es sind Herausforderungen, denen ich mich nur allzu gerne stellen möchte. Ich glaube sehr wohl, dass das Leben ein Wunschkonzert sein kann, wenn man es selbst dazu macht. Die einzige Voraussetzung dazu ist, dass du selbst wissen musst, was du dir wünschst. Meine Ansprüche sind nicht sehr hoch. Ich will mich in bunte Farben hüllen und alle Herausforderungen mit Liebe zu meistern. Und ich will Musik. Wo Musik ist, will ich sein. Egal, wo und egal zu welchem Anlass. Alles, was ich zum glücklich sein brauche, ist Liebe und Musik. 

Du sagst, du freust dich auf unser nächstes Treffen und beendest das Gepräch. Ich lege das Telefon zur Seite. Ich nehme das frisch bedruckte Papier aus dem Ausgabefach des Druckgeräts. Mit der Buchungsbestätitung in der Hand gehe ich zum Fenster und schaue gen Himmel. Er ist klar und hellblau. Ganz ohne eine Wolke am Horizont. Wunderschön und dennoch so langweillig auf seine Art. Ich kann nicht für immer hier bleiben. Schon das zu lange bleiben wäre fatal. Und ich hoffe, auch du kannst das eines Tages erkennen.

Dienstag, 14. April 2015

# 00004

Es heißt, ein Blick muss mindestens 8,2 Sekunden lang sein, damit die berühmt berüchtigte Liebe auf den ersten Blick überhaupt eine Chance hat. So habe ich es zumindest kürzlich gehört. Ob dies der Wahrheit entspricht oder gar ein wissenschaftlich bewiesener Fakt ist, weiß ich nicht. Ich persönlich glaube dieser Zahl nicht. Mir erscheint sie sehr hoch. Zu hoch. Irgendein verkopfter Wissenschaftler muss dafür verantwortlich sein. Durch Statistiken und Untersuchungen hat er vermutlich in einem langwierigen Prozess versucht zu beweisen, dass es eben genau diese Zeitspanne dauert, bis dieser herrlich romantische Gemütszustand erreicht ist. Wie gesagt, ich halte davon nicht viel. Und zwar nicht, weil ich nicht an die Liebe auf den ersten Blick glaube. Das tue ich nämlich sehr wohl. Ich würde sogar noch weiter gehen. Ich würde sagen, dass es manchmal nicht mal diese 8,2 Sekunden braucht, um eine Liebe zu erkennen. Ich glaube, manchmal braucht es dafür nur einen einzigen Herzschlag.

Jedes Mädchen bastelt sich ob bewusst oder unbewusst ihren ganz eigenen Prototyp von Mann zusammen. Über die Jahre kommen immer mehr Feinheiten dazu. Irgendwann hat man dann ein ganz individuelles Bild vor Augen von diesem Mann. Im Sommer traf ich ihn zum ersten Mal. Diesen einen Mann. 
Die Musik war laut. Der Platz war voll mit Menschen und die Menschen waren voll mit stimmungssteigernden Liquiden. Das Treiben auf Festivals wurde mir ab einem gewissen Zeitpunkt immer zu bunt. Und als er da stand, mit seiner Gitarre im Arm und dem fröhlich frechen Blick, wurde mir schnell klar, dass er nicht der Eine war. Dennoch sollte er einer sein, der fortan ein Teil meines Lebens sein sollte. 
Er sprach meine Sprache nicht. Ich sprach seine nur sehr schlecht. Es mag kitschig klingen, doch das war mir in diesem Moment egal. Alles, was ich wollte, war mit meinen Augen, seine zu untersuchen und mir vorzustellen, wie es wäre, wenn ich diesen Blick für den Rest meines Lebens bewahren konnte. Meine Neugier fesselte mich. Ich folgte ihm eine Weile überall hin.

Ich tanzte jeden Tanz, zu dem er einlud. Ich nahm jede Chance wahr, die sich bot. Getrieben von einem immer schneller und fester werdenden Beat in meiner Brust, wurden die Bewegungen immer schneller und impulsiver. Drehung um Drehung, Hüftschwung für Hüftschwung, Sprung um Sprung, begriff ich immer mehr, was er war. Er war vollkommen. Er war alles, was ich jemals wollte. Er war charmant, einnehmend, faszinierend. Alle Frauen, die er traf, verfielen ihm sofort. Und er verfiel einigen von ihnen sicher auch nicht zu selten.

Eines Abends sprach ich ihn an. In seiner Hand hielt er ein Bier, in seinem Arm ein hübsches Mädchen. Ich war mir nicht völlig im Klaren darüber, was ich mir erwartete. Er stand mir gegenüber und ich wünschte mir nichts mehr als, dass er bleibt. Doch er berührte mich nur an der Schulter und verschwand mit dem Mädchen im Arm. Seine Perfektion fiel von ihm ab. Sein Herz schlug nicht wie meines. Ihn gehen zu lassen, war die einzige logische Konsequenz. Zurück blieb nur ich und mein in einem einsamen Takt schlagenden Herz.