Montag, 4. November 2013

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Die Luft ist in den letzten Wochen stets kälter geworden. Den Winter fand ich immer schon nervig. Schon aus ästhetischen Gründen. Ich hasse es, jeden Tag quasi den gleichen Look zu tragen. Dennoch habe ich mir dieses Jahr eine Winterjacke gekauft. Eine richtige Winterjacke. Nach Jahren des durch Eitelkeit bedingten Bibberns bin ich nun in Besitz eines wärmenden Kleidungsstücks und trage es gerne. Ein Zeichen für mich, dass ich langsam erwachsen werde, dass sich langsam etwas verändert. Allgemein hat sich viel verändert in den letzten Wochen und Monaten. Oberflächlich betrachtet ist zwar alles beim Alten, aber ich weiß, dass es alles andere als "wie immer" ist.

Mir fiel ist bislang immer sehr schwer, mich für etwas zu entscheiden. Und hatte ich mich für etwas entschieden, verwarf ich diese Entscheidung bald und ging dann einen anderen Weg. Viele würden mein Verhalten mit Sicherheit als eine kopflose Flucht abstempeln. Ich bezeichne meine gegangenen Wege lieber als Intuition. Und nein, das ist kein verzweifelter Versuch, mir alles schön zu reden. Alles ergab bisher einen Sinn, wenn ich mich für eine Sache entschied und meinem Bauchgefühl in eine neue Richtung folgte. Bislang hatte ich mit dieser Methode wirklich nie irgendwelche Probleme, doch als ich vor Kurzem die Vernunft in den Urlaub schickte und das Herz das Regiment übernahm, lief alles aus dem Ruder. Man sollte meinen, es gibt keinen Besseren für diesen Job als das Herz. Wer sonst könnte spontanere Entscheidungen mit Erfolgsgarantie aus dem Bauch heraus treffen als das Herz selbst? Ich hielt auf Rat des Herzens also an einer Entscheidung fest. Doch es hat mich hinterlistig getäuscht. Es gaukelte mir vor, dass ich es ja mal wagen könnte und nicht gleich in eine andere Richtung gehen solle. Auf halber Strecke endete dann der Weg und das Herz ließ mich mitten im Nirgendwo allein. 

Mit meiner neuen Jacke sitze ich nun in einem ohnehin schon sehr warmen Zugabteil und schaue aus dem Fenster. Ich fahre diese Strecke oft. Das Bild, das sich mir beim Blick aus dem Fenster bietet, ist mir vertraut. Im Grunde ist es auch egal, was dort zu sehen ist. Ich nehme es gerade sowieso nicht wahr. Es sind die Gedanken, die mir den Blick vernebeln. Die Kopfhörer in meinem Ohr und der Ipod in meiner Hosentasche spielen irgendeinen Song, den ich nicht wahrnehme. Alles, was im Moment zählt, ist diese schier unlösbar scheinende Aufgabe, die mir das Leben gerade stellt. Dem Herz habe ich ein Sprechverbot auferlegt. Mit seinen Ratschlägen hatte es mich doch erst in diese Lage gebracht.

Der Zug hält an meinem Zielbahnhof. Ich öffne die Tür und trete hinaus. Die kalte Luft peitscht mir ins Gesicht wie eine Ohrfeige der Natur. Der Ipod spielt das nächste Stück ab und ich höre zum ersten Mal aufmerksam zu. Wie gefesselt bleibe ich stehen, als die beruhigende Stimme des Sängers sich mit einem Lied, das meinen Namen trägt, sich tröstend auf mein Herz legt. Ich habe diese Melodie und diesen Text schon unzählige Male gehört, dennoch bin ich immer wieder überrascht, dass mir dieses Lied immer wieder in den passendsten Situationen begegnet. Ich fühle mich mehr denn je davon angesprochen. Er sagt, dass es nicht meine Schuld war. Dass ich alles erdenklich Mögliche getan habe. Er fragt, warum ich mich ausgerechnet für denjenigen entschieden habe, der sich selbst dazu entschieden habe, sich nie zu verlieben? Ich solle loslassen. Es brächte doch nichts. Hm.
Er findet so viele schöne Worte. Ich fühle mich verstanden und mir wird wieder warm ums Herz. Vielleicht kann ich diesem Ding in meiner Brust irgendwann ja doch wieder vertrauen. Im Moment sagt es jedenfalls: "Scheiß drauf! Du wirst noch viele Entscheidungen treffen müssen und die sind nicht immer richtig." Vielleicht, also vielleicht, hat es ja Recht.